- ingame
- Brettspiele
Stand:
Von: Sebastian Hamers
Kommentare
Das lange Warten hat ein Ende. Frosted Games veröffentlicht die deutsche Ausgabe des üppigen Dungeon Crawlers Chroniken von Drunagor.
Geht es um Storytelling, Immersion und die Erschaffung einer dichten Atmosphäre haben die Brettspiele in den letzten Jahren einen enormen Qualitätssprung hingelegt. Wer etwa eine intensive Rollenspielerfahrung gesucht hat, musste fast schon zwangsläufig zu einem Computer- oder Videospiel greifen. Inzwischen gibt es glücklicherweise eine ganze Reihe analoger Titel mit großen erzählerischen Qualitäten. Insbesondere das Genre der Dungeon-Crawler hat sich in dieser Hinsicht hervorgetan. Dazu werden mal technische Hilfsmittel in Form von aufwändigen Apps herangezogen, mal liegen dem Spiel daumendicke Wälzer bei, in denen die Story-Fragmente nachgeschlagen werden müssen. Ein Vertreter der letzteren Kategorie ist das von vielen heiß erwartete „Chroniken von Drunagor“. Aufgrund des enormen Textaufkommens hat es ein wenig gedauert bis die deutsche Version endlich in den Handel gekommen ist. Inzwischen ist das dicke Paket verfügbar, auf Wunsch sogar gleich mit einer ganzen Reihe von Erweiterungen.
Chroniken von Drunagor mit üppiger Ausstattung
Von Dungeon Crawlern ist man es ja schon gewohnt. Haufenweise Miniaturen, etliche Spielfelder, dazu Papp-Marker und anderes Kleinzeug als Kiloware gehören bei Vertretern dieses Genres ja fast schon zum guten Ton. Die Chroniken von Drunagor stellen diesbezüglich keine Ausnahme dar. Ein Blick in die Spielschachtel fördert jede Menge Plastik zutage. Wer sich beim Kauf eines neuen Brettspiels Sorgen über die Nachhaltigkeit und die Ökobilanz macht, wird angesichts der riesigen Trays aus Plastik zunächst den Kopf schütteln. In Chroniken von Drunagor erfüllen sie allerdings weitaus mehr als eine Schutzfunktion für die hochwertigen Miniaturen.
Sie fungieren zusätzlich als Unterlage für die Räume des Dungeons. Mit ihrer Hilfe lassen sich Höhenunterschiede prima darstellen, die sich im Spielverlauf natürlich auch taktisch auswirken. Auf diese Weise behaltet ihr die Situation bestens im Blick, allerdings sieht das Ganze nicht ganz so pompös aus wie etwa bei Descent: Legenden der Finsternis, das mit 3D-Objekten nur so um sich wirft. Obwohl beide Spiele Vertreter des Dungeon-Crawler-Genres sind, unterscheiden sich die Titel in vielerlei Hinsicht.
Name des Spiels | Chroniken von Drunagor |
Spielerzahl | 1-5 Personen |
Altersempfehlung | ab 12 Jahren |
Spieldauer | 25-125 Minuten |
Autor | Eurico Cunha Neto, Daniel Alves |
Verlag | Frosted Games/Pegasus Spiele |
Preis | ca. 150€ (Basisspiel) |
Chroniken von Drunagor setzt auf taktische Aspekte
Das Spiel von Frosted Games setzt noch deutlich stärker auf ein taktisches Vorgehen. Einfach mal drauflosmarschieren und ein paar Monster verkloppen? Das wird in Chroniken von Drunagor ganz sicherlich nicht zum Ziel führen. Nur wenn ihr die Stärken und Schwächen eurer Charaktere gut aufeinander abstimmt, habt ihr überhaupt eine echte Überlebenschance. Außerdem wurde auf den Einsatz einer Begleit-App verzichtet. Alle Story-Elemente, von denen reichlich vorhanden sind, werden über einen dicken Wälzer ins Spiel transportiert. Schon zur Einleitung des ersten Abenteuers dürft ihr euch erstmal eine komplette DIN A4 Seite reinziehen. Zwischenzeitlich wird an bestimmten Stellen sogar zu einem weiteren Buch gegriffen, das einzelne Szenen detailliert im Bild darstellt.
Die Bücher verweisen dabei immer wieder auf Ziffern, die dann ebenfalls nachgeschlagen werden müssen, um die Geschichte voranzutreiben. Es erinnert stellenweise an die guten alten Abenteuerbücher, bei denen ihr euch von Ziffer zu Ziffer hangelt, wenn Entscheidungen zu fällen sind. Keine Sorge, ihr werdet nicht ständig mit einem ganzen Stapel von Büchern herumhantieren müssen. Den überwiegenden Teil der Zeit werdet ihr euch voll und ganz auf das Geschehen im Dungeon konzentrieren können. Auf diese Weise wird der Spielfluss nicht beeinträchtigt und ihr müsst auch nicht ständig auf einen Bildschirm linsen.
Kein App-Einsatz – Chroniken von Drunagor setzt auf analoges Spielerlebnis
Trotzdem lässt sich Chroniken von Drunagor als moderner Dungeon Crawler bezeichnen. Die Zeiten, in denen sich noch ein Spieler erbarmen musste, die Rolle des Dungeonlords zu mimen sind jedenfalls vorbei. Alle Beteiligten können sich voll und ganz darauf konzentrieren, die Rolle ihres Charakters auszufüllen. Damit werdet ihr gerade zu Beginn des Abenteuers auch erstmal ausreichend beschäftigt sein. Als wären die Aktionsmöglichkeiten der individuellen Charakterklasse nicht schon genug, füllt jede Figur außerdem noch eine ihr zugewiesene Rolle aus.
Die Rollen sind dabei nicht an die Charakterklasse gebunden, sondern dürfen frei verteilt werden. Habt ihr euch für den Kleriker entschieden, neigt man möglicherweise dazu, sich auch die passende Kampfrolle des Unterstützers zu wählen. Es ist allerdings problemlos möglich, vielleicht sogar taktisch sinnvoll, einen Anführer- oder sogar Angreifer-Kleriker zu spielen. Jede Kampfrolle fügt den ohnehin schon recht breit aufgestellten Fähigkeiten des Charakters nochmals neue Möglichkeiten hinzu. So verfügt ihr bereits zu Beginn der ersten Partie über eine stattliche Auswahl von Optionen, die es erstmal in den Griff zu bekommen gilt.
Charakterklassen und Kampfrollen in Chroniken von Drunagor
Gesteuert werden die Charaktere durch die Nutzung sogenannter Aktionswürfel. Je nach gewählter Charakterklasse stehen euch eine unterschiedliche Auswahl davon zur Verfügung. Mit roten Würfeln werden beispielweise Angriff im Nahkampf vollzogen, gelbe Würfel repräsentieren hingegen Attacken aus der Distanz. Weiterhin gibt es Würfel für die Attribute Gewandtheit und Weisheit, denen ebenfalls Aktionen zugeteilt wurden, passend zur Klasse des Charakters. Pro Zug dürfen zwei Würfel aufgewendet werden, um sie einer Aktion zuzuordnen.
Ist die gewünschte Aktion bereits mit einem Würfel belegt, kann diese nicht ohne Weiteres erneut gewählt werden. Ihr müsst euch also schon gut überlegen, zu welchem Zeitpunkt ihr welche Aktion durchführen möchtet. Spätestens wenn euch die Aktionswürfel ausgehen, benötigt eure Spielfigur dringend einen Refresh. Alle eingesetzten Würfel wandern zurück in den Vorrat und können erneut zum Einsatz kommen. Da alle Aktionsfelder dadurch frei geworden sind, stehen euch jetzt wieder sämtliche Möglichkeiten zur Verfügung. Sämtliche Möglichkeiten? Nicht ganz, die Erholungsphase hat durchaus ihren Preis.
Fluch und Trauma in Chroniken von Drunagor
Jeder Refresh bringt euch einen Fluchwürfel ein, der ab sofort das Feld einer Aktion blockiert. Erst wenn die Aktion der Reinigung durchgeführt wird, darf der Fluch wieder vom Charaktertableau entfernt werden. Das Reinigen selbst kostet euch selbstverständlich auch einen Aktionswürfel, was eure Heldenfigur in diesem Zug etwas langsamer agieren lässt. Es wäre als durchaus von Vorteil, den eigenen Würfelpool schrittweise zu erhöhen, um die Reinigungsaktion seltener wählen zu müssen. Beim Level-Aufstieg habt ihr dazu die Möglichkeit. Euch steht eine ordentliche Auswahl neuer Fähigkeiten zur Wahl, die eure Spielfigur erlernen kann. Zusammen mit dieser neuen Fähigkeit erhaltet ihr auch einen weiteren Aktionswürfel hinzu. Die Würfel helfen euch zudem weiter, wenn es darum geht, die zeitweise eingestreuten Attributproben zu bestehen. Je mehr Würfel der passenden Farbe sich in eurem Pool befinden, desto leichter gehen dem Charakter die zugehörigen Aufgaben von der Hand.
Mit dem Trauma kommt noch eine weitere ziemlich unerfreuliche Würfelvariante ins Spiel. Sinkt die Lebensenergie eines Helden auf oder gar unter null, erleidet dieser eine dauerhafte Beschädigung. Sie wird genauso wie ein Fluchwürfel behandelt, nur dass ein Trauma eben nicht nach einer Reinigungsphase des Charakters wieder verschwindet. Ein zweites Trauma kann eine Spielfigur nicht durchleben, sie erleidet stattdessen den Heldentod, womit das Abenteuer sofort als gescheitert betrachtet wird.
Chroniken von Drunagor sorgt für Glücksgefühle
Das Leben in Chroniken von Drunagor ist für euch als Heldencharaktere verdammt hart, keine Frage. Doch das Spiel sorgt in regelmäßigen Abständen dafür, dass eurer Belohnungssystem aktiviert und Glücksgefühle produziert werden. Die Dungeons sind vollgestopft mit mächtigen Gegenständen, Waffen und anderem ziemlich hilfreichen Kleinkram. Auf Schatzkisten oder andere vielversprechende Hotspots trefft ihr in schöner Regelmäßigkeit. Chroniken von Drunagor setzt somit auf den Diablo-Effekt, der die Spieler immer wieder dazu antreibt, sich ständig noch mächtiger ausrüsten zu wollen.
Allerdings solltet ihr bei den Plünderzügen durch den Dungeon vielleicht doch besser nicht zu lange trödeln. Mit der Dunkelheit sitzt euch ständig eine unsichtbare Gefahr im Nacken, die sich immer weiter ausbreitet und euch nicht zu unterschätzende Nachteile beschert. Jede Bewegung durch die Dunkelheit kostet euch Lebensenergie und die Trefferwahrscheinlichkeit bei einem Angriff sinkt ebenfalls signifikant. Deshalb ist es möglicherweise durchaus eine Überlegung wert, die ein oder andere Schatztruhe links liegen zu lassen, um den Auswirkungen der Dunkelheit zu entkommen.
Zahlreiche Erweiterungen für Chroniken von Drunagor verfügbar
Jedes Abenteuer in Chroniken von Drunagor stellt eine taktische Herausforderung für euch als Gruppe dar. Und manchmal stellt sich eine Vorgehensweise leider auch erst im Nachhinein als wenig zielführend heraus. Mit zunehmender Spielerfahrung erarbeitet ihr euch allerdings ein gewisses Gefühl dafür, wie mit bestimmten Konstellationen am besten umzugehen ist. Es kann somit durchaus passieren, dass die ersten Missionen nicht direkt erfolgreich abgeschlossen werden können. Ein gewisser Glückfaktor schwingt in Chroniken von Drunagor zumal ebenfalls mit. Attributproben und Attacken lassen sich zwar durch viele Faktoren beeinflussen, aber letztlich werden sie doch per Würfelwurf abgehandelt. Ein paar unglückliche Würfelergebnisse in Folge können den Ausflug im Dungeon ins Stocken geraten lassen.
Sofern ihr keines der Kapitel mehr als einmal spielt, durchlebt die Heldengruppe insgesamt achtzehn Abenteuer. Da ihr für jedes Kapitel sicherlich gut zwei Stunden Spielzeit einplanen solltet, dürften die nächsten Wochen feinster Fantasy-Unterhaltung gesichert sein. Wer vom Spiel nicht genug bekommen kann, darf außerdem zu den zahlreichen bereits verfügbaren Erweiterungen greifen. Diese enthalten neue Abenteuer und Kreaturen, teilweise sogar frische Heldencharaktere. Leider ist der Umfang der enthaltenen Gegnerkreaturen im Basisspiel etwas mau. Bei Zufallsbegegnungen stößt man daher immer wieder auf die gleichen Monster. Ein wenig mehr Abwechslungsreichtum wäre an dieser Stelle schön gewesen.
Die Chroniken von Drunagor sind für ein bis fünf Personen ab zwölf Jahren geeignet. Das Grundspiel schlägt mit rund 150€ zu Buche. Die Erweiterungen schwanken preislich hingegen zwischen 35€ und 60€. Sowohl das Basisspiel als auch die fünf Erweiterungen sind bereits im Handel verfügbar.
Fazit: Wir sind mit Chroniken von Drunagor durch die Dungeons gecrawlt und haben dabei diese ingame-Testwertung gelootet.
Der Preis von rund 150€ stellt schon einen gewissen Anschaffungswiderstand dar. Andere Dungeon Crawler sind da oftmals doch eine ganze Ecke günstiger oder sehen zum gleichen Preis einfach spektakulärer aus. Keine Frage, auch Chroniken von Drunagor bietet ganz fantastisches Spielmaterial, doch mit der Opulenz eines Descent: Legenden der Finsternis kann es dann doch nicht ganz mithalten. Dafür hat das Spiel ganz andere Qualitäten. Ein Pluspunkt für viele mag sein, dass nicht ständig auf einen Bildschirm geglotzt werden und trotzdem niemand in die Rolle des Dungeonlords schlüpfen muss. Ihr könnt euch im Wesentlichen also voll und ganz auf das Geschehen im Dungeon konzentrieren, was der Immersion auf jeden Fall zuträglich ist. Kommen wir zu einem weiteren wichtigen Baustein eines jedes Dungeon Crawlers: dem Kampfgesehen. Mit dem Einsatz der Aktionswürfel wagt Chroniken von Drunagor etwas Neues. Die Kämpfe fühlen sich frisch an, haben eine spannende Dynamik und sind vor allem ziemlich herausfordernd. Um das Abenteuer zu meistern müsst ihr euch gut absprechen, euch ständig auf neue Situationen einstellen und geeignete Strategien entwerfen. Chroniken von Drunagor fordert den Helden taktisch doch deutlich mehr ab als die meisten anderen Genrevertreter. Doch selbst wenn die Mission mal scheitert, ist die Motivation zum Weiterspielen ungebrochen. Es bleibt stets das Gefühl zurück, die Aufgabe wäre schaffbar gewesen, hätte man nur die passende Strategie eingeschlagen. Sehr motivierend ist auch der ständige und sehr spürbare Fortschritt, den die Charaktere durchleben. Das Spiel bietet sehr viel Raum zur individuellen Ausgestaltung der eigenen Figur und durch auch das ständige Aufsammeln von mächtigen Items wird dieser Effekt sogar noch verstärkt. Chroniken von Drunagor bringt alles auf den Tisch, was ein intensives Fantasy-Erlebnis ausmacht. Lediglich ein paar weitere gegnerische Kreaturen hätte es schon sein dürfen. Da die Auswahl im Grundspiel recht mickrig ausfällt, wiederholen sich die Gegner in den Zufallsbegegnungen doch ziemlich schnell. Natürlich könnt ihr weiteres Geld einsetzen und ein paar Erweiterungen erstehen, um dieses Manko zu beheben. Doch dann knackt das Gesamtpaket die Preismarke von 200€ locker. Ein Investment, das sich aber durchaus lohnen könnte. Für anspruchsvolle Fantasy-Strategen ist Chroniken von Drunagor ein echter Leckerbissen, der euch viele intensive Stunden Spielspaß bescheren dürfte.
Pro | Con |
---|---|
+ tolles Spielmaterial | - wenig unterschiedliche Gegner im Grundspiel |
+ individuelle Charakterentwicklung | |
+ atmosphärisch stark | |
+ taktisch sehr fordernd | |
+ kein externer Bildschirm notwendig | |
+ packende Kämpfe |